Geben Sie mir das schon mal vorab…

…ich reiche das Rezept dann nach. Das ist ein Satz, den wir – besonders gerne in der Urlaubszeit und am Wochenende – regelmäßig hören. Ich glaube, daß nur wenigen unserer Kunden bewußt ist, was sie da von uns verlangen. Die Abgabe von verschreibungspflichtigen Arzneimitteln ohne gültiges Rezept ist eine Straftat. Genauso gut könnte ich einen Taxifahrer auffordern bei rot über die Ampel zu fahren und dabei die zugelassene Höchstgeschwindigkeit zu überschreiten, weil ich zu spät aus dem Haus gegangen bin. Leider wird uns Apothekern in Deutschland nicht so viel Verstand und Urteilsvermögen zugetraut, wie in der Schweiz. Selbst wenn ich weiß, daß Frau M. regelmäßig seit vielen Jahren L-Thyroxin 75 einnimmt und auch ihre Werte regelmäßig überprüft werden, ich darf es ihr nicht ohne ein Rezept abgeben. Ich muß sie in die Notfallpraxis oder zum Vertretungsarzt schicken, wo ihr ein Arzt, der sie nie vorher gesehen hat, ihre Krankengeschichte auch nicht kennt (auch keinen Zugriff drauf hat), nur auf ihr Wort hin das Medikament verordnet. Ich finde das mehr als suboptimal. Ich fände es für alle Beteiligten sinnvoller, wenn wir in der Apotheke das Recht hätten, so wie in der Schweiz, einen Vorbezug zu machen. Man könnte das auch gut klar regeln, in dem vorgeschrieben wäre, daß es nur erlaubt ist bei Dauermedikationen, die nicht unterbrochen werden dürfen (z.B. Medikamente für Bluthochdruck, Diabetes, Schilddrüse). Nicht erlaubt soll es für Schlafmittel oder andere Arzneimittel mit Anhänigkeitspotenial sein. (Ganz abgesehen davon, daß wir diese sowieso nie jemals ohne Rezept vorab geben.) Und daß der Patient dieses Medikament innerhalb der letzten 6 Monate in der Apotheke schon einmal bezogen hat. Das können wir über unsere Abrechnugsstellen recht einfach herausfinden, auch wenn dieser Patient keine Kundenkarte bei uns hat.

Und dann mal noch ein paar Tipps für die, die es doch am Samstag probieren, die Cortisoncreme ohne Rezept zu bekommen:

1. Fragen Sie bitte freundlich und höflich nach – sie fordern mich eben auf eine Straftat zu begehen, vergleichbar mit einem Diebstahl. Wenn sie sich dieser Tatsache bewußt sind, können wir schon eher miteinander reden. Sie möchten, daß ich mich illegal verhalte, nicht umgedreht.

2. Glauben Sie mir, daß ich Ihnen nach bestem Vermögen helfen will, und wenn ich dann eine rezeptfreie Variante anbiete, dann ist das die einzig mögliche Lösung.

3. Der Satz: „Jetzt stellen Sie sich doch nicht so an!“ (Oder ein ander in diesem Sinne) wird der sein, bei dem bei mir komplett die Klappe fällt. Danach werden Sie GARANTIERT nicht bekommen, was Sie wollten. Ganz egal wie Sie sich anstellen.

4. Auch die „Drohung“, „Dann gehe ich eben in die XY-Apotheke, da bekomme ich das immer.“, werde ich allenfalls mit „Warum sind Sie dann nicht gleich dahin gegangen?“ beantworten. Weitere Folgen können unter Punkt 3. nachgelesen werden.

5. „Das muß ich doch sowieso selber bezahlen.“ Bzw. „Ich bin doch Privatpatient, ich zahle das doch selber.“ Sind leider keine Argumente – siehe Punkt 1. – es ist eine Straftat, das Geld interessiert mich nur sekundär.

Ich könnte, wenn es ganz dumm läuft, mit so einer Aktion meine Approbation verlieren – und dann kann ich nie mehr als Apothekerin arbeiten. Dann müsste ich mir einen komplett neuen Beruf suchen, bzw. eine neue Ausbildung machen.

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8 Gedanken zu “Geben Sie mir das schon mal vorab…

  1. Hallo Aponette,
    ich kann es echt nicht verstehen, wie man es vergessen kann sich regelmäßig rechtzeitig ein Rezept zu besorgen.
    Das bekomm sogar ich mit Schichdienst hin, obwohl Organisation nicht so mein Ding ist. Eine Bemerkung im Kalender neues Rezept besorgen hilft mir wunderbar gegen meine Vergesslichkeit.

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  2. Ich wäre auch dafür unser System dem in der Schweiz anzupassen.

    Aber es gibt da einige die dagegen sind. Anscheinend auch viele Ärzte die der Meinung sind dass ihr „Schubladenzieher“ nicht die nötige Ausbildung dafür hättet.

    Seltsam, was hast du dann eigentlich im Studium gelernt?
    Geb es zu, ihr habt die ganze Zeit nur gelernt wie man eine Ratiopharm von einer 1-A Pharma Packung unterscheiden kann auf 10 Meter Distanz!

    Man traut anscheinend hierzulande Apothekern nicht genug zu, nur haften dürft ihr natürlich wie die „großen“ 😦

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  3. Je nach Anfangssatz (vgl 3.) des Kunden geht meine Antwort meistens in die Richtung von „das kostet dann 1500 Euronen (die ich Strafe zahlen darf) plus jeden Monat X Euronen mein Gehalt (weil ich meine Berufserlaubnis verliere und dann meine Familie nicht mehr ernähren kann). Und sie versorgen dann Mann und Kind, weil ich atme dann ja gesiebte Luft“.
    Ich habs so dick…
    Aber natürlich versuch ich vorher immer die rezeptfreie Variante anzubieten – so es sie denn gibt, bei Schilddrüse bzw Pille wirds einfach unmöglich…

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  4. Ebenso: Eltern, die am Wochenende ein Medikament fürs Kind holen und dann das Rezept nachträglich vom Kinderarzt holen, damit sie das Geld wiederbekommen. Ich HASSE das!Besonders, weil das a) in der EDV sehr schlecht abbildbar ist und b) ich weiß, dass viele KiÄ das auch hassen…besonders wenn Leute das wegen der Paracetamol-Zäpfchen für 1,50€ möchten…

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  5. Es wird mir ´wohl immer ein Rätsel bleiben, warum ein auf wichtige Medikamente angewiesener Mensch nicht in der Lage ist, sich selbige regelmäßig zu besorgen. Und ein klein wenig Puffer einzuplanen, denn selbst ein Arzt kann ja mal plötzlich krank werden….oder es kann auch mal paar Tage dauern, bis etwas beschafft werden kann.
    Ich selber erlebe das ja ständig in der eignen Familie. Niiiiiiiiiieeeemals, ist der Schuld, der die Medikamente zu sich nimmt. Arzt, Apotheke, MfA….wer auch immer. Auf die Bemerkung, ist doch Dein Zeug, muss doch kein andrer dran denken – da bekomm ich nur ganz verwirrte Blicke…
    Und mal ehrlich, weder Schilddrüse noch Blutdruck drehen doch normalerweise sofort durch, wenn mal eine Tablette nicht genommen wird. Kann mir keiner erzählen, das er noch nie so ne Pille vergessen hat!

    Ja, in der Schweiz ist es halt anders geregelt. Mag sein, das hat Vorteile. Man kann aber auch oft genug bei Pharmama z.B. nachlesen, das das auch so seine Tücken hat.

    Fakt ist und bleibt für mich: Wenn ich in irgendeiner Form auf Medikamente angewiesen bin, obliegt es MIR, dafür zu sorgen, das ich mich rechtzeitig um Nachschub kümmere.

    Ich terminiere meine Arztbesuche so, das ich in der Regel noch zwei bis drei Wochen hinkomme. Damit bin ich bisher gut gefahren.

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